Überlebende

»Ja, ich habe überlebt, und ich bin frei, aber wozu? Das frage ich mich oft. Um von der Ermordung von Millionen unschuldiger Opfer zu berichten, um von dem unschuldigen Blut zu zeugen, dass diese Mörder vergossen haben. Ja, ich habe überlebt, um Zeugnis abzulegen von dem Riesenschlachthof Treblinka!«

Chil Rajchman, Ich bin der letzte Jude, 2009

Weniger als 150 Menschen überleben die Lager der »Aktion Reinhardt«, schätzungsweise 70 davon das Vernichtungslager Treblinka. In ganz unterschiedlicher Form legen viele von ihnen Zeugnis ab und kämpfen somit gegen das Vergessen.

Richard Glazar (1920–1997), ein tschechischer Jude, kann während des Aufstandes fliehen und beginnt bereits Ende 1944, seine Erinnerungen zu verschriftlichen. Erst 1992 werden sie in deutscher Sprache unter dem Titel Die Falle mit dem grünen Zaun veröffentlicht. Sein Buch enthält auch von ihm selbst angefertigte Skizzen des Lagers.

Der polnische Jude Samuel Willenberg (1923–2016) entkommt ebenfalls während des Aufstandes. 2009 erscheint sein Buch Treblinka. Lager, Revolte, Flucht, Warschauer Aufstand auf Deutsch. Auch in diesem befinden sich Skizzen, die Willenberg von dem Lagergelände angefertigt hat. Zusätzlich beginnt er Anfang der 2000er Jahre, das Erlebte in Form von Bronzefiguren darzustellen.

Abraham Bomba (1913–2000) gelingt im Januar 1943 die Flucht aus dem Vernichtungslager. Er sagt im Prozess in Frankfurt am Main 1950–1951 gegen Josef Hirtreiter und im ersten Treblinka-Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf 1964–1965 aus.

Der polnische Jude Chil Rajchman (1914–2004) kann beim Aufstand in Treblinka fliehen und beginnt noch während des Krieges seine Erinnerungen an das Lager zu verschriftlichen. Auf Deutsch veröffentlicht werden seine Aufzeichnungen Ich bin der letzte Jude erst 2009, fünf Jahre nach seinem Tod.

Die Memoiren, Aussagen und Kunstwerke der Überlebenden ermöglichen es, die Erinnerung an die beinahe vergessenen Vernichtungslager aufrechtzuerhalten.

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Samuel Willenberg präsentiert seine Zeichnungen des Lagers im Muzeum Treblinka. Treblinka/Polen, 2.8.2013. Adrian Grycuk, CC BY-SA 3.0 PL.
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Jakow - Ya'akov - Wiernik, Überlebender Treblinkas, beim Bau eines Modells des Vernichtungslagers im Ghetto Fighters' House Museum. Westgaliläa/Israel, 1956. Ghetto Fighters' House Museum, Israel/ Photo Archive.
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Richard Goldschmid, später Glazar, mit seiner Mutter. Prag/Tschechien, 1940. Jewish Museum in Prague.
021 Deportationskarte Glazar Ghetto Theresienstadt Kartei (arolsen Archives) Front
Die sogenannte Transportkarte von Richard Goldschmid, später Glazar. Am 8. Oktober 1942 wird er aus dem Ghetto Theresienstadt in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Arolsen Archives/ Federation of Jewish Communities in the Czech Republic, Prague.

Richard Glazar

Richard Glazar (geb. Goldschmid) wird 1920 in eine jüdisch-assimilierte Familie geboren und wächst in einer Kleinstadt ca. 70 km von Prag entfernt auf. 1939 beginnt er ein Studium in Wirtschaftswissenschaften, muss dieses jedoch kurze Zeit später abbrechen. Bis 1942 versteckt er sich als landwirtschaftlicher Arbeiter bei tschechischen Bauern. Im September 1942 wird er ins Ghetto Theresienstadt deportiert und bereits einen Monat später, am 8. Oktober 1942, in das Vernichtungslager Treblinka. Vor Ort muss er als sogenannter »Arbeitsjude« Zwangsarbeit leisten. Ihm gelingt während des Aufstandes am 2. August 1943 die Flucht. Nach dem Krieg lebt er zunächst in Mannheim, später in Prag. 1968 flieht er in die Schweiz, wo er bis 1995 als Ingenieur arbeitet. 1979 erzählt er dem Filmemacher Claude Lanzmann in einem über sieben Stunden dauernden Interview von seinen Erfahrungen während des Krieges und vor allem von seiner Zeit als Häftling in Treblinka. Ausschnitte des Interviews sind 1985 in Lanzmanns Dokumentarfilm Shoah zu sehen. 1995 kehrt Glazar nach Prag zurück. Im Dezember 1997 scheidet er freiwillig aus dem Leben.

Samuel Willenberg

Samuel Willenberg wird 1923 in Częstochowa geboren. Als 16-Jähriger meldet er sich freiwillig als Soldat für die polnische Armee. Nach einer Verletzung kehrt er zurück zu seiner Familie. Im Oktober 1942 deportieren ihn die Deutschen aus dem Ghetto in Opatów nach Treblinka. Die SS setzt ihn als sogenannten »Arbeitsjuden« ein. Durch den Aufstand im Lager gelingt ihm die Flucht nach Warschau. Dort nimmt er 1944 am Warschauer Aufstand teil. 1950 emigriert er mit seiner Frau und seiner Mutter nach Israel. Ab Mitte der 1980er Jahre kehrt er wiederholt als Zeitzeuge mit Jugendgruppen nach Polen zurück. Im Alter studiert er Bildhauerei und Malerei und beginnt Skulpturen herzustellen.
Durch die Arbeit an den Bronzefiguren fängt Willenberg an, sich an Szenen aus der Zeit im Vernichtungslager zu erinnern, die er bereits verdrängt hatte. Die Fertigstellung dauert mehrere Jahre, da er die Figuren so detailreich wie möglich gestalten will. Er fertigt insgesamt 15 Figuren an, die in Ausstellungen zu sehen sind. Willenberg stirbt 2016 als letzter Überlebender von Treblinka.

008 S. Willenberg After Escaping From Treblinka
Samuel Willenberg kurz nach seiner Flucht aus Treblinka, fotografiert, um einen gefälschten deutschen Pass zu erhalten. 1943. Muzeum Treblinka.
Samuel Willenbergs Figur zeigt ein Mädchen aus Warschau kurz nach ihrer Ankunft in Treblinka. Sie fällt Willenberg durch ihre Kleidung und ihren ängstlichen Blick auf. Kurze Zeit später wird sie im sogenannten Lazarett erschossen. Werk: Samuel Willenberg, A girl from Warsaw, 2002. Sławek Kasper. Institute of National Remembrance.
Samuel Willenbergs Bronzefigur zeigt das sogenannte Orchester des Lagers. Einer der Männer ist der zu der Zeit sehr bekannte Musiker Artur Gold aus Warschau. Zur Demütigung mussten sie in Clownskostümen spielen. Werk: Samuel Willenberg, A concert, 2002. Sławek Kasper. Institute of National Remembrance.
Samuel Willenbergs Werk zeigt einen Künstler aus Warschau, der von den Deutschen beauftragt wurde Bahnhofsschilder und eine Uhr anzufertigen. Somit sollte die Rampe des Vernichtungslagers wie ein normaler Bahnhof wirken. Werk: Samuel Willenberg, An artist - painter inmate preparing misleading signs, 2001. Sławek Kasper. Institute of National Remembrance.
Samuel Willenbergs Werk zeigt den Aufstand der Gefangenen im Vernichtungslager Treblinka am 2. August 1943. Werk: Samuel Willenberg, 2 August 1943 – The insurrection, 2001. Sławek Kasper. Institute of National Remembrance.
Samuel Willenbergs Werk zeigt unbekleidete Frauen auf dem Weg zu den Gaskammern. Werk: Samuel Willenberg, Undressed women on their way to the gas chamber, 2000. Sławek Kasper. Institute of National Remembrance.
Samuel Willenbergs Bronzerelief zeigt Menschen bei der Ankunft der Waggons, denen, laut Willenberg, ihr Schicksal noch unbekannt ist. Werk: Samuel Willenberg, Descending from the Boxcar, 2000. Sławek Kasper. Institute of National Remembrance.
Samuel Willenbergs Werk zeigt zwei Personen, die eine Leiche aus dem Waggon ins sogenannte Lazarett transportieren. Werk: Samuel Willenberg, The "Blues", 2001. Sławek Kasper. Institute of National Remembrance.
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Abraham Bomba. Israel, 1979. Standbild aus Claude Lanzmanns Shoah. United States Holocaust Memorial Museum und Yad Vashem.

Abraham Bomba

Abraham Bomba wird 1913 in Bytom (Beuthen) geboren und wächst in Częstochowa auf. Gemeinsam mit seiner Familie wird er im September 1942 ins Vernichtungslager Treblinka deportiert. Dort muss er Zwangsarbeit leisten, wohingegen seine Familie direkt ermordet wird. Da Bomba Friseur ist, wählt ihn die SS für ein »Arbeitskommando« aus, welches den Frauen die Haare abschneiden soll, unmittelbar bevor sie vergast werden. Bomba gelingt mit zwei weiteren Häftlingen im Januar 1943 die Flucht. Nach dem Krieg emigriert er gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau in die USA.

1950–1951 ist er Zeuge im Prozess in Frankfurt am Main gegen den ehemaligen SS-Scharführer Josef Hirtreiter und 1964–1965 im ersten Treblinka-Prozess vorm Landgericht Düsseldorf. Claude Lanzmann interviewt ihn in seinem Dokumentarfilm Shoah 1979. Bomba verstirbt 2000.

Chil Rajchman

Chil Rajchman wird 1914 in Łódź geboren. Die Deutschen verpflichten ihn gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester zur Zwangsarbeit in Pruszków. Nach der Auflösung des dortigen Arbeitslagers gelingt ihnen zunächst die Flucht. Beide werden jedoch im Oktober 1942 aus Lubartów in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Rajchman muss in verschiedenen »Kommandos« Zwangsarbeit leisten, unter anderem bei der Beseitigung der Massengräber als »Leichenträger«. Ihm gelingt während des Aufstandes am 2. August 1943 die Flucht. Versteckt überlebt er den Krieg. Bereits während des Krieges beginnt er, das Erlebte zu verschriftlichen. 1946 wandert er nach Uruguay aus. Er verstirbt 2004. Sein Augenzeugenbericht Ich bin der letzte Jude wird erst fünf Jahre nach seinem Tod veröffentlicht.

093 Henrik Yechiel Rajchman
Henrik - Yechiel - (Chil) Rajchman. Ghetto Fighters' House Museum, Israel/ Photo Archive.

»Die traurigen Waggons bringen mich zu diesem Ort. Sie kommen von überall her, von Osten und Westen, von Norden und Süden. Tag und Nacht und zu jeder Jahreszeit, Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Die Transporte kommen reibungslos, ununterbrochen, und Treblinka wird täglich reicher an Blut. Je mehr gebracht wird, desto mehr kann Treblinka aufnehmen.«

Chil Rajchman, Ich bin der letzte Jude, 2009