Das Leben des Künstlers Vadim Sidur
Vadim Abramowitsch Sidur ist vor allem für seine abstrakten Skulpturen aus Metall und Stein bekannt. Er wird am 28. Juni 1924 als Sohn jüdisch-russischer Eltern in Jekaterinoslaw (dann Dnepropetrovsk, heute Dnepr), Ukraine, geboren.
Sidurs jüdische Familie väterlicherseits wird 1944 durch deutsche Besatzer ermordet. Sidur dient in der Roten Armee und wird durch einen deutschen Scharfschützen schwer verletzt. Er arbeitet in einer Kolchose und beginnt eine Ausbildung als Dreher. Nach dem Abbruch seines Medizinstudiums widmet er sich einem Studium der Bildhauerei an der Stroganov-Kunstfachschule. Aufgrund der Schussverletzung seines Kiefers im Zweiten Weltkrieg ist er gesundheitlich stark eingeschränkt. Die existentiellen Kriegserfahrungen wie auch der unmittelbar erlebte Tod der Eltern bilden den Kontext, aus dem heraus viele Plastiken der 1960er und 70er Jahre entstehen. Er finanziert sich anfangs vor allem durch Illustrationsaufträge sowie die Schaffung von Grabsteinen. Bereits in den 1950er Jahren wird Sidur Mitglied des Sowjetischen Künstlerverbandes, dem er auch nach seinem Ausschluss aus der Kommunistischen Partei 1974 angehörte. Sidur stirbt in Folge mehrerer Infarkte am 26. Juni 1986 in Moskau.
Sidurs Kunst in der Sowjetunion
Vadim Sidur lässt sich der Gruppe der nonkonformistischen Avantgardisten zuordnen. Deren Kunst hat den Anspruch, sich von ideologischer Bevormundung zu befreien und individuelle Lebenserfahrungen und gesellschaftspolitische Einsichten auszudrücken. Dieser Ansatz entwickelt sich vorerst in Moskau und später in Petersburg (Leningrad) nach der Kritik an Stalin auf dem XX. Parteitag von 1956.
Sidurs Formensprache, seine Motivik entspricht nicht dem heroischen Bild des Sozialistischen Realismus und damit nicht der staatlichen Kunstdoktrin. Seit Ende der 1950er Jahre sind seine Arbeiten ausschließlich im eigenen Kelleratelier zugänglich. Dieser Ort entwickelt sich bald zu einem inoffiziellen Treffpunkt einer Kulturszene des In- und Auslands. Musiker*innen, Schauspieler*innen, Künstler*innen, Schriftsteller*innen und Naturwissenschaftler*innen kommen dort zusammen, um sich über Fragen von Politik, Gesellschaft, Kunst und Kultur auszutauschen. Zu den Besucher*innen Sidurs gehören unter anderem Lew Kopelew, Alexander Solschenyzin, Luise Rinser und Udo van Meeteren. Zunächst in Osteuropa und seit Ende der 1960er Jahre auch in Westeuropa wächst seine Bekanntheit. Die sowjetischen Kontrollinstitutionen beobachten diesen Vorgang aufmerksam, unterbinden aber keine Ausstellung oder die Aufstellung seiner Kunstdenkmäler im Ausland.
Der Neostalinismus ab Mitte der 1960er verhindert erneute Versuche Sidurs, seine Kunst in der sowjetischen Öffentlichkeit zu zeigen. Eine abendliche Graphikausstellung im Zentralhaus des Schriftstellers wird nach einer Stunde durch Eingreifen des KGB verhindert. Nach Sidurs Ausschluss aus der KPdSU im Jahr 1974 häufen sich staatliche Repression. Seine Verdienstmöglichkeiten werden eingeschränkt. Inländische Verlage sind dazu angehalten, keine Illustrationsaufträge für Zeitschriften oder Bücher an Sidur zu vergeben. Für die öffentliche Präsentation seiner Kunst nutzt er schließlich Friedhöfe. Seine Grabsteinarbeiten stehen im Gegensatz zu den heroisierenden Grabsteindarstellungen von hohen Militärs, die in unmittelbarer Nähe zu seinen Werken stehen.
Zur Verwirklichung seiner Ideen weicht Sidur auch auf andere künstlerische Ausdrucksformen aus. Linolschnitte, Federzeichnungen, Aquarelle, Filmarbeiten und Prosa entstehen. In den dreißig Jahren seines künstlerischen Schaffens erstellt er rund 500 Skulpturen und fertigt 2.000 bis 3.000 Grafiken an. Erst nach seinem Tod werden seine Werke im eigenen Land bekannter. Während der Gorbatschow-Ära wird 1987 erstmals eine Ausstellung in Moskau gezeigt. Es folgt eine ständige Ausstellung, die Ausgangspunkt des 1989 in Moskau eröffneten Vadim-Sidur-Museums ist. Heute gehört es zum staatlichen Moscow Museum of Modern Art.