Die Entstehung der Skulptur Treblinka am Amtsgerichtsplatz

Aufstellung der Skulptur Treblinka vor dem Amtsgericht Charlottenburg im September 1979. Foto: Traudbert Erbe. Sammlung Karl Eimermacher.

Die Idee zur Aufstellung der Skulptur Treblinka von Vadim Sidur entsteht in Zusammenhang mit einer Ausstellung seiner Skulpturen in Berlin-Charlottenburg. Die Einweihung erfolgt am 14. September 1979.

Im Mai 1978 ist das Modell der Skulptur Treblinka in der Galerie im Gang im Rathaus von Charlottenburg zu sehen. Einer der Initiatoren der Ausstellung von Sidurs Werken ist Dr. Karl Eimermacher, Professor für Slawische Kulturwissenschaft und langjähriger Freund Sidurs. Mit der Idee Sidurs Werk als sichtbares Mahnmal in West-Berlin aufzustellen, wendet er sich an den Leiter des Kunstamts Charlottenburg, Traudbert Erbe. Beide setzen sich dafür ein, dass die Skulptur in größerem Maßstab als sichtbares Mahnmal ausgeführt werden soll. Mit Unterstützung der Abteilung Bauwesen im Bezirksamt Charlottenburg übernimmt der Schweizer Bildhauer Dieter Paffrath die Vergrößerung des Modells. Die Aufstellung des bronzenen Denkmals erfolgt am 14. September 1979. Die Deutsche Welle berichtet über die Einweihungsfeier und Enthüllung des Denkmals vor dem Amtsgericht. Dort betont Erbe die symbolische Bedeutung des Ortes: „[…] denn in diesem Gebäude wurden die in die faschistischen Todeslager deportierten Juden registriert.“ Ein Jahr später, im September 1980, werden in einer weiteren Ausstellung Skulpturen und Plastiken von Vadim Sidur in der Kleinen Orangerie im Schloss Charlottenburg vom Kunstamt Charlottenburg gezeigt.

040 Die Entstehung Der Vergrößerung Der Skulptur “treblinka”
Herstellung der großformatigen Skulptur Treblinka durch Dieter Paffrath. Frauenfeld/Schweiz, 1978/1979. Sammlung Karl Eimermacher/ Familie Paffrath.
091 Enthüllung Des Denkmals Treblinka(2)
Heinz Wendland hält in seiner Funktion als Stadtrat für Bauwesen des Bezirks eine Rede zur Enthüllung des Denkmals Treblinka. Filipp Israelson, Berlin-Charlottenburg, 14.9.1979. Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (02) Nr. 0219617.

Die Bezirksverordnetenversammlung von Charlottenburg beschließt 1986, eine Mahntafel vor der Skulptur einzulassen, die den Passanten den Kontext zum Vernichtungslager Treblinka verdeutlicht. Das darauf zu lesende Zitat bezieht sich auf die Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, die er aus Anlass des 40. Jahrestages der deutschen Kapitulation vom 8. Mai 1945 hielt. Im Original lautet das Zitat bei Weizsäcker wie folgt: „Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. […] Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“ Auf der Tafel endet der Schriftzug mit folgenden Worten:[…] wird wieder anfällig für neue Unrechtstaten.“

Anlässlich des Todes Sidurs 1986 wird eine zweite Bronzeplatte mit dem Schriftzug „Treblinka“ und dem Namen „Sidur“ in kyrillischer und lateinischer Schrift im Boden hinzugefügt.

Plakat der Sidur-Ausstellung in der Kleinen Orangerie im Schloss Charlottenburg. Berlin-Charlottenburg, 1980. Museum Charlottenburg-Wilmersdorf.

Berliner Erinnerungskultur nach 1945

Die Teilung der Stadt in vier Sektoren und ab 1949 die Entwicklung zweier deutscher Staaten prägen das frühe Erinnern und Gedenken in Berlin. Zwei Gedenkkulturen entstehen, mit unterschiedlichen Gestaltungen der Denkmäler, unterschiedlichen Perspektiven und Ausgrenzungen in der Gedenkpolitik. Im Osten hat das »antifaschistische Erbe« höchste Priorität. Zahlreiche Denkmäler werden errichtet, die kämpferisch den kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus symbolisieren. Im Westen stehen die zivilen Opfer des Zweiten Weltkriegs und die gefallenen Soldaten im Zentrum des öffentlichen Gedenkens.

Die Opfergruppen des NS-Regimes wie auch die Akteure des Widerstands, beispielsweise die Gruppe »Weiße Rose« um Sophie Scholl, werden hingegen erst später und nur zögerlich thematisiert. Eines der ersten Denkmäler West-Berlins wird 1953 nicht vom Senat, sondern vom Bund der Verfolgten des Naziregimes in Berlin-Charlottenburg errichtet. Erst in den 1970er und 1980er Jahren gelingt es vor allem durch das Engagement von Bürgerinitiativen, die Politik des Verschweigens zu durchbrechen. Die Verfolgung und Ermordung der deutschen und europäischen Jüdinnen*Juden wird immer mehr zu einem zentralen Thema der Erinnerungskultur.

Karl Eimermacher

Karl Eimermacher, Prof. (em.) für Slawische Literatur, ist Experte zu Leben und Werk von Vadim Sidur. Er bekam 1998 die Ehrendoktorwürde der Russischen Staatlichen Hochschule für Geisteswissenschaften (RGGU) und wurde 2003 von der Vereinigung der Erforscher der russischen Gesellschaft AIRO (Moskau) geehrt. Das Video ist ein Auszug aus einem Gespräch, das Inka Engel und Peter-Erwin Jansen am 22. Januar 2022 in Eimermachers Wohnung in Berlin führten.

Arbeiten von Sidur in Städten der Bundesrepublik

In Deutschland finden sich mehrere Skulpturen Sidurs. Sie thematisieren das menschliche Leid, Trauer, Zerbrechlichkeit und Gewalt. Unter anderem durch die Initiative und den anhaltenden Einsatz von Karl Eimermacher gelingt es schon in den frühen 1970er Jahren, nicht nur einzelne Skulpturen, sondern auch Ausstellungen der Werke Sidurs in der Bundesrepublik und West-Berlin zu zeigen.

Neben Treblinka in Berlin sind beispielsweise die Skulpturen Den Opfern der Gewalt in Kassel, Tod aus Liebe in Offenburg, Tod durch Krieg in Würzburg, Die heutige Situation in Konstanz, das Porträt Albert Einsteins (Ulm, Bonn, Bochum), Antlitz und Kreuzigung (Berlin, St. Matthäus) sowie Der Mahner in Düsseldorf zu nennen.

042 Sidur Den Opfern Der Gewalt
Skulptur Der Gefesselte (Den Opfern der Gewalt) von Vadim Sidur, aufgestellt 1974. Kassel, Obere Königsstraße, 1975. Sammlung Karl Eimermacher.
044 Sidur Der Mahner
Skulptur Der Mahner von Vadim Sidur, aufgestellt 1985. Düsseldorf, Hofgarten, 1985. Sammlung Karl Eimermacher.
045 Sidur Tod Aus Liebe
Skulptur Tod aus Liebe von Vadim Sidur, aufgestellt 1984. Offenburg, Bürgerpark, 2017. Sammlung Karl Eimermacher.