Lagerstruktur und Mordprozess

063 Kräne Kurt Fanz Fotoalbum
Laut Staatsanwaltschaft Düsseldorf zeigen die Aufnahmen aus dem Album des Lagerkommandanten Kurt Franz die zwei im Lager II eingesetzten Bagger beim Ausheben der Massengräber. Ab Frühjahr 1943 werden diese auch zur Exhumierung der Leichen verwendet. Treblinka/Polen, 1942/1943. Landesarchiv NRW/Düsseldorf: LA Düsseldorf, RWB 18244a.
Das auf dem eingeebneten Lagerterrain errichte Bauernhaus während der Bauzeit im Herbst 1943; im Hintergrund einzelne Restbaracken. Ein dort wohnender »Trawniki-Mann« soll verhindern, dass die lokale Bevölkerung nach Wertsachen der Opfer sucht. Album Kurt Franz, Treblinka/Polen, 1943. Landesarchiv NRW/Düsseldorf: LA Düsseldorf, RWB 18244b.

Das Vernichtungslager Treblinka II ist etwa 600 auf 400 Meter groß. Im Teillager 1 befinden sich die Baracken für die Verwaltung, das Lagerpersonal und die jüdischen Häftlinge, sowie die Rampe für die Züge, Baracken für die geraubten Gegenstände der Deportierten und eine Entkleidungsbaracke für Frauen und Kinder. Von dort führt der »Schlauch«, ein mit Stacheldraht gesicherter Gang, ins abgetrennte Teillager 2 mit den Gaskammern und Massengräbern.

Ein einzelner Deportationszug bringt bis zu 5.000 Jüdinnen*Juden nach Treblinka II. Auf der Rampe ist Platz für 20 Waggons mit etwa 2.000 Menschen. Die restlichen Waggons warten außerhalb des Lagers. Deutsche Aufseher und »Trawniki-Wachmänner« empfangen die Züge an der Rampe und überwachen und drangsalieren die deportierten Jüdinnen*Juden auf ihrem Weg in den Tod.

Nach der Ankunft finden in der Regel keine Selektionen statt, da Treblinka II ein reines Vernichtungslager ist. Die Deportierten werden von der Rampe zur Entkleidungsbaracke gescheucht. Frauen und Kinder müssen sich in der Baracke, Männer auf dem Platz davor entkleiden. Nachdem ihnen aller Besitz weggenommen ist und den Frauen zudem die Haare abgeschnitten sind, treiben Aufseher und »Trawniki-Wachmänner« sie durch den »Schlauch« in die Gaskammern und vergiften sie mit Kohlenmonoxid. Kleine Kinder, alte und erschöpfte Menschen, die den Weg zu den Gaskammern nicht mehr aus eigener Kraft schaffen, werden in eine gesonderte als »Lazarett« getarnte Hinrichtungsstätte gebracht und erschossen.

Das Lagerpersonal zwingt jüdische Häftlinge zur Mitarbeit am Mordprozess. Ein Kommando aus »Arbeitsjuden« sammelt das Gepäck der deportierten Jüdinnen*Juden und bereitet die Rampe für die nächsten Waggons vor. Andere schneiden die Haare, helfen beim Entkleiden und sortieren die Kleidung. In Lager 1 wohnen bis zu 800 jüdische Häftlinge, in Lager 2 sind etwa 300 in einer separaten Baracke untergebracht. Sie haben die Aufgabe, die ermordeten Jüdinnen*Juden aus den Gaskammern zu holen und ihre Leichen nach versteckten Wertsachen und Goldzähnen abzusuchen. Im Anschluss bringen sie die Leichen auf Tragbahren zu den Massengräbern, die von Kränen ausgehoben werden. Da es keine Zeugen der Verbrechen geben soll, ermorden die Deutschen nach einiger Zeit die »Arbeitsjuden« und ersetzen sie durch neue Häftlinge.

Ab Frühjahr 1943 exhumieren die Täter auf Befehl von Heinrich Himmler die Leichen und verbrennen sie auf Rosten aus Eisenbahnschienen, um die Spuren des Massenmords zu beseitigen. Die letzten Vergasungen finden Ende August statt. Danach wird das Lager abgebaut. Um die Spuren des Lagers zu verwischen, pflanzen die Deutschen auf der planierten Fläche Fichten und Lupinen. Sie errichten auf dem Gelände ein Bauernhaus für einen »Trawniki-Mann«, der die lokale Bevölkerung davon abhalten soll, nach Wertsachen der Opfer zu suchen.

»Dieser Tag ist ganz besonders hart. Ein Zug mit achtzehntausend Menschen kommt an, und alle Gaskammern sind in Betrieb. Wir arbeiten. Hin und wieder gibt es Träger, die alles stehen und liegen lassen, sich in die tiefe Grube nahe den Todeskammern werfen und auf diese Weise ihrem verfluchten Leben ein Ende machen. Endlich schlägt es sechs Uhr abends. Ein Schrei: »Antreten!« Wir versammeln uns, und unser Scharführer-Chef, Matias [Es handelt sich um den SS-Scharführer Heinrich Arthur Matthes], befiehlt uns, ein schönes Lied zu singen. Wir müssen alle singen. Dann vergeht noch eine Stunde, bis wir in die Baracken zurückkehren.«

Chil Rajchman, Ich bin der letzte Jude, 2009

060 Zeichnung Willenberg „Auffanglager“
Die Zeichnung zeigt die Rampe für die Waggons, Baracken für die geraubten Gegenstände der Deportierten, den »Sortierplatz« in der Mitte, die Entkleidungsbaracke für Frauen und Kinder links und davor den Platz, auf dem sich die Männer entkleiden müssen. Gezeichnet von dem Überlebenden Samuel Willenberg. 1980er Jahre. Muzeum Treblinka.

»Es wurde angeordnet, die Juden aus Ostrowiec noch in derselben Nacht in die Gaskammern zu schicken. Der Befehl wurde ausgeführt. Wir waren schon in den Baracken eingeschlossen und konnten nichts sehen. Wir hörten nur die üblichen Schreie. Aber als wir am nächsten Morgen zur Arbeitsstelle gingen, entdeckten wir die Spuren dessen, was nachts geschehen war. Die Rampenarbeiter öffneten die Klappen der Gaskammern und begannen, die Leichen herauszuziehen. Die Träger schleppten sie bis zu den Gruben. Dieses Mal hatten die Träger und die Aufräumer der so genannten Schlauchkolonne eine ganz neue Aufgabe zu erfüllen. Der Gang des Gebäudes mit den drei kleinen Gaskammern war mit Leichen übersät. Das geronnene Blut reichte bis zu den Knöcheln. Von den Ukrainern erfuhren wir, was geschehen war. Eine Gruppe von mehreren Dutzend Männern hatte sich geweigert, die Gaskammer zu betreten. Nackt, wie sie waren, wehrten sie sich mit ihren Fäusten und wollten sich nicht hineinstoßen lassen. Daraufhin eröffneten die SS-Männer mit ihren Maschinengewehren das Feuer und machten die Rebellen auf der Stelle nieder.«

Chil Rajchman, Ich bin der letzte Jude, 2009

Karte des Vernichtungslagers Treblinka II, angefertigt von dem Überlebenden Samuel Willenberg, 1980er Jahre. Muzeum Treblinka.
Die mit einem roten Kreuz getarnte Hinrichtungsstätte, im Sprachgebrauch der Täter das „Lazarett“, in der Kinder, alte und erschöpfte Menschen erschossen werden. Zeichnung, angefertigt von dem Überlebenden Samuel Willenberg, 1980er Jahre. Muzeum Treblinka.

»Um den 10. Januar herum kamen Transporte aus den Grenzgebieten, aus Białystok, Grodno und Umgebung. Der Winter war äußerst hart, es herrschte klirrende Kälte. Die Sadisten hatten sich einen neuen Zeitvertreib ausgedacht. Bei zwanzig Grad unter null schickten sie die jungen Frauen nicht gleich in die Gaskammer, sondern ließen sie erst einmal nackt im Freien stehen. […] die Mädchen, in Reihen aufgestellt, mussten halb erfroren mit bloßen Füßen im Schnee warten, sie zitterten vor Kälte, sie weinten, drängten sich aneinander und flehten vergeblich, »ins Warme« gelassen zu werden, wo der Tod auf sie wartete. Die Ukrainer und die Deutschen blickten amüsiert auf diese jungen Körper, sie machten Witze und lachten, bis sie sich endlich gütig zeigten und dazu herabließen, sie ins »Bad« zu schicken. Solche Szenen wiederholten sich noch oft den ganzen Winter über.«

Chil Rajchman, Ich bin der letzte Jude, 2009