Täterkollektive
Die »Aktion Reinhardt« und der Massenmord an den Jüdinnen*Juden im Generalgouvernement sind arbeitsteilig organisiert. Etwa 30 deutsche und österreichische Täter leiten das Vernichtungslager Treblinka II. Unterstützt werden sie von 100 bis 120 »fremdvölkischen« und »volksdeutschen« Wachmännern, die die SS im Ausbildungslager Trawniki auf ihren Dienst vorbereitet. Es sind ehemalige sowjetische Kriegsgefangene der Wehrmacht.
Ein Teil des Personals der »Aktion Reinhardt« untersteht der Kanzlei des Führers. Unter ihrer Leitung werden in Deutschland 1940 und 1941 über 70.000 Menschen mit Behinderungen und psychischen Krankheiten im Rahmen der »Aktion T4« mit Gas getötet. Ab Frühjahr 1942 kommen »T4«-Mordspezialisten im Generalgouvernement zum Einsatz. Sie bringen die Technik des Gasmordes in den Osten.
Der Arzt Irmfried Eberl (1910-1948), zuvor Leiter der »T4«-Anstalten Brandenburg und Bernburg, wird der erste Lagerkommandant von Treblinka II. Franz Stangl (1910-1948) löst ihn im September 1942 ab, weil Eberl mit der Organisation des Massenmords überfordert ist. Stangl ist als ehemaliger Verwaltungsleiter der »T4«-Anstalt Hartheim und erster Kommandant des Vernichtungslagers Sobibor berüchtigt. Auf ihn folgt im September 1943 sein bisheriger Stellvertreter Kurt Franz (1914-1998) als letzter Lagerkommandant. Franz tötet zuvor in den »T4«-Anstalten Grafeneck, Brandenburg, Hartheim und Sonnenstein und im Vernichtungslager Belzec. Auch die Aufseher und Experten für die Vergasungen in Treblinka II stammen vorwiegend von der »Aktion T4«.
Ein zweites Täterkollektiv existiert um den SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin, Odilo Globocnik (1904-1945). Er ist im Auftrag des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei, Heinrich Himmler (1900-1945) im gesamten Generalgouvernement für die »Aktion Reinhardt« verantwortlich. Sein Einsatzstab bestellt die Züge bei der Reichsbahn, organisiert die Deportationen, teilt die Wachtruppen zu und leitet die Verwertung der persönlichen Gegenstände, die den Jüdinnen*Juden in den Vernichtungslagern geraubt werden.
Bei den Deportationen sind zudem Einheiten der deutschen Polizei, der SS und Vertreter der Zivilverwaltung beteiligt. Unterstützung erhalten sie von Hilfseinheiten aus den von den Deutschen besetzten Gebieten wie der polnischen »blauen Polizei«.
»Meine liebe Ruth!
[…] Daß ich in der letzten Zeit etwas wenig geschrieben [habe], weiß ich, konnte dies aber nicht ändern, da die letzten Warschauer Wochen von einer Hetze begleitet waren, die unvorstellbar war, ebenso hat hier in Treblinka ein Tempo eingesetzt, das geradezu atemberaubend ist. Wenn ich vier Teile hätte und der Tag 100 Stunden, dann würde das wahrscheinlich auch noch nicht ganz reichen. Aus diesem Grunde kam ich und werde auch nicht so häufig zum Schreiben kommen, wie Du es vielleicht gerne hättest und wie ich es gerne täte. Du kannst überzeugt sein, daß ich viel und oft an Dich denke, aber einfach nicht die Zeit und die Muße habe, um zu schreiben. Wenn man, wie in der letzten Woche, von früh bis spät und von spät bis früh auf den Beinen ist, in der Nacht vielleicht 3 – 4 Stunden schläft, die restlichen Schlafstunden sich tagsüber zusammenstiehlt, die wenigen Schlafstunden außerdem noch durch die Quälerei durch Läuse, Flöhe usw. versüßt werden, dann kannst Du mir wahrhaftig glauben, daß man vielleicht manchmal die wenigen Minuten für ein Lebenszeichen aufbringen könnte, daß aber dann die Muße dazu fehlt. […] Ich habe nun mit der Zeit Nerven aus Stahl bekommen. Daß meine Nerven versagen können, kommt nicht in Frage. Noch viel weniger, daß ich physisch versagen könnte. Es ist mir, allerdings unter rücksichtslosem Einsatz meiner Person, gelungen, in den letzten Tagen nur mit dem halben Personal meine Aufgaben zu meistern. Allerdings habe ich auch meine Leute rücksichtslos überall eingesetzt, wo es nötig war, und meine Leute haben wacker mitgezogen. Und auf diese Leistung bin ich froh und stolz. […]
Herzliche Grüße und viele, viele Küsse
Von Deinem Teddy
Dr. Irmfried Eberl (1910-1948), der erste Lagerkommandant von Treblinka II, schreibt am 30. Juli 1942, eine Woche nach Beginn der Deportationen aus dem Warschauer Ghetto, in einem Brief an seine Frau, dass er wegen des hohen „Arbeitstempos“ kaum zum Schreiben komme. Brief von SS-Untersturmführer Dr. med. Irmfried Eberl an seine Frau Ruth, 30.7.1942. Hessisches Hauptstaatsarchiv, GStA Frankfurt 631a/1631, Bl. 149f.